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Ende letzten Jahres ging die Kombilösung in die nächste Projektphase: Die Planfeststellung des Stadtbahntunnels und der Bebauungsplan für die Kriegsstraße wurden vom Gemeinderat beschlossen. Anfang des Jahres lagen die Unterlagen beider Verfahren öffentlich aus, danach konnten Einwendungen gemacht werden. Davon wurde mit 130 Einwendungen reger Gebrauch gemacht. Der dazugehörige Erörterungstermin fand vom 16. bis 18. Mai, kurz vor Redaktionsschluss, statt. Der Autor des Artikels war mit eigenen Einwendungen und kurzfristig auch als Vertreter der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Selbsthilfe behinderter Menschen Baden-Württemberg — ein Träger öffentlicher Belange — anwesend. Anhörungsbehörde war die Stadt Karlsruhe (wenn auch nicht als “Gemeinde”, sondern als “untere Verwaltungsbehörde”, was bei einer kreisfreien Stadt aber das selbe ist.). Das ließ manchmal Zweifel an der Neutralität aufkommen...
Nach kurzer Vorstellung des Verfahrens — nach dieser wird von einem Baubeginn 2008 ausgegangen — kamen zunächst “subjektiv Betroffene” zu Wort, das sind in der Regel nur direkte Anlieger des Projektes. Nur diese und Träger öffentlicher Belange sind vermutlich später klageberechtigt. Nichtanlieger, die ohne eine direkte Betroffenheit nur Einwendungen haben, die über die Interessen der Allgemeinheit nicht herausragen, haben vermutlich keine Klageberechtigung. Ihre Einwendungen werden aber dennoch vom Regierungspräsidium geprüft.
Vorgebracht wurden von Anliegern vor allem zu große Beeinträchtigungen durch die Baustellen. Vor allem beim Bau der Haltestellen Lammstraße und Kronenplatz ist vor den Geschäften zeitweise nur noch ein Durchgang von 1 m vorhanden. Ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb ist unter solchen Bedingungen kaum noch vorstellbar. Auch die Post Galerie wehrt sich gegen die Beanspruchung des ihr gehörenden Teils des Europaplatzes. Durch Bau des Gleisdreiecks und der Haltestelle Marktplatz doppelt betroffen ist das Modehaus Schöpf, deren Besitzerin in der Bürgerinitiative an vorderster Front der Gegner kämpft. Über lange Zeit läge es hinter der Baustelle. Ein besonderes Problem könnten hier die 200 Jahre alten Fundamente sein, ebenso wie die vom Denkmalschutz vorgeschriebenen Fenster, die nicht so staubdicht sind wie moderne Fenster. Zur Sprache kam in diesem Teil der Erörterung auch, dass die Strecke zwischen Marktplatz und Baumeisterstraße rund ein Jahr wegen der Bauarbeiten gesperrt wird! Einwendungen wegen wegfallender Nutzbarkeit der Straße (Auslagen, Cafés) wurden abgewehrt, da auf eine solche Nutzung kein Rechtsanspruch besteht.
Nach den Anlieger-Einwendungen kam man zu allgemeineren Einwendungen, zunächst zur Prüfung von Alternativen. Die auch vom VCD geforderte zweite Rampe am Hauptbahnhof wurde pauschal als technisch nicht machbar und nicht sinnvoll abgelehnt. Überhaupt haben nach Meinung der Anhörungsbehörde Stadt Alternativen kein Recht auf Prüfung, da keine Alternative die vom Gemeinderat beschlossene Zielvorgabe einer straßenbahnfreien Fußgängerzone erfüllen kann. Die Stadt sei da frei, was sie als Zielvorgabe beschließt, das Projekt habe sich dieser unterzuordnen. Dass einige Einwender vorbrachten, die Kombilösung schade dem öffentlichen Verkehr und somit entspräche die Zielvorgabe nicht den dem Verfahren zugrundeliegenden Gesetzen des ÖV, sei nicht relevant. Auch dass es sinnvoll sei, die Kriegsstraße zuerst zu bauen, damit sie in der Bauzeit als Umleitung verfügbar wäre, wurde verneint. Eventuell werden aber doch noch Szenarien geprüft. Der Gutachter verschloss sich möglichen Umleitungsszenarien nicht völlig.
Lebendiger wurde die Diskussion beim Thema Brandschutz. Hier stand die Feststellung im Raum, dass eine Selbstrettung kaum möglich sei, wenn der Zug im Tunnel selbst brennend liegen bliebe. Das sei hinzunehmendes Restrisiko (diese Formulierung wurde von vielen kritisiert), zumal dieses Szenario durch Notbremsüberbrückung und Anweisung, auf jeden Fall in die Haltestelle einzufahren, nahezu ausgeschlossen sei.
Ein großes Thema einiger Einwender war die unzureichende Barrierefreiheit des Stadtbahntunnels. Auf den ersten Blick scheint diese gegeben zu sein, hat man doch zusätzlich zum 80 m langen und 34 cm hohen Bahnsteig für die Niederflurbahnen die Haltestellen doch extra um 20 m verlängert, um auch einen 15 m langen Abschnitt mit 55 cm Höhe passend für Mittelflur-Zweisystemwagen einzurichten.
Doch in der Praxis hat dies seine Tücken, denn eigentlich ist diese Anordnung “falsch rum”: Niederflurbahnen erhalten so auf 8 Türen Länge passende Bahnsteige, in der Regel haben Niederflurzüge aber nur an den ersten 2 Türen Rollstuhlfahrerplätze (das wird sich in einigen Jahrzehnten ändern, wenn auch die S1/S11 und S2 komplett niederflurig fährt, zur Zeit sind nur auf der Linie 1 vereinzelt Niederflur-Doppeltraktionen zu finden). Mittelflur-Doppeltraktionen hätten dagegen hinter 8 Türen rollstuhlgeeignete Plätze, bekommen aber nur auf der Länge der ersten 2 Türen einen passenden Bahnsteig. Das kann zu Problemen führen: Steigt ein Rollstuhlfahrer unterwegs irgendwo in den Zug ein, kommt er in der Innenstadt womöglich nicht raus, weil es an seiner Tür keinen passenden Bahnsteig gibt. Selbst wenn er “vorne” einsteigt, kann es sein, dass er in der City “hinten” ist, wenn unterwegs ein zweiter Wagen vorne hinzukommt (Verstärkungswagen oder Flügelkonzept wie derzeit in Ubstadt vereinzelt oder nachts ins Murgtal und nach Achern). Solange noch Mittelflur- und Hochflurbahnen im Zugverband verkehren (mindestens noch ein Jahrzehnt nach Tunneleröffnung) kann es auch sein, dass vorne ein Hochflurwagen fährt (spätestens auf dem Rückweg des Zuges...). Selbst im reinen Mittelflurbetrieb kann das vorkommen, denn die Wagen mit Toilette haben am einen Ende keinen ausreichend rollstuhlgeeigneten Platz.
Bei Kontakten zur LAG und zum Karlsruher Behindertenbeirat, führten diese Details zu Mängeln bei der Barrierefreiheit zu Überraschung...
Der Autor wird sich daher für Verbesserungen einsetzen, aber die wohl einzig sinnvolle Möglichkeit, die Barrierefreiheit für alle Bahnen komplett herzustellen — nämlich einen zusätzlichen Mittelbahnsteig einzurichten mit 55 cm Höhe — wurde gleich als zu aufwändig und unmöglich abgewiesen. Dabei hätte dies auch Vorteile: die Haltestellen könnten wieder kürzer gebaut werden, weswegen es nicht unbedingt zu deutlich größeren Kosten führen muss. Am Kronenplatz führt dies außerdem dazu, dass man nicht mehr mit nur 1 m Abstand zu den Geschäften bauen müsste. Außerdem beschleunigt sich bei den großen Zweisystembahnen durch beidseitiges Ein- und Aussteigen der Fahrgastwechsel.
Weitere Diskussionsgegenstände gab es bei den Einflüssen auf die Umwelt. Der Autoverkehr erfährt ja durch den Umbau der Kriegsstraße auch Verbesserungen, insbesondere durch den Tunnel unterm Mendelssohnplatz. Dadurch kann es zu Mehrverkehr kommen. Was hat das für Auswirkungen auf die Schadstoffe, die jetzt schon bei der Reinhold-Frank-Straße knapp unter oder gar über den Grenzwerten sind? Lärm? Dissenz gab es auch bezüglich der Veränderungen beim Grundwasserstand, denn ein so langes Bauwerk im Untergrund hat ja eine hydrologische Barrierewirkung. Und wie wirkt sich das auf das FFH-Gebiet aus, das im Schlosspark beginnt?
Man darf gespannt sein, wie nun die nächsthöhere Behörde — das Regierungspräsidium Karlsruhe als Genehmigungsbehörde — die Einwendungen bewertet und welche Auflagen und Änderungen womöglich kommen. Lehnt dieses die Einwendungen teilweise ab, kann zumindestens ein Teil der Einwender den Klageweg beschreiten.
Dies ist ein Artikel der Karlsruher Zeitschrift umwelt&verkehr 2/06
Stand des Artikels: 2006! Der Inhalt des Artikels könnte nicht mehr aktuell sein, der Autor nicht mehr erreichbar o.ä. Schauen Sie auch in unseren Themen-Index.